Wirkung

Albert Schmidbauer (im Bild Mitte) juckt es in den Fingern, seit er acht Jahre alt ist. Damals dröhnte „Rock Around The Clock“ von Bill Haley aus den Boxen auf der künstlichen Schlittschuhbahn in Regensburg. Er griff zum Bass, gründete eine Rockband und schrieb eigene Songs. Dann wurde er Amtsrichter und der Bass landete in der Ecke. Als 2006 die Bayerische Musikakademie Alteglofsheim zum Rentnerrock-Projekt lud, ließ er sich mitreißen. Mittlerweile ist er 75 Jahre alt und kein bisschen müde. Er steht am Bass, textet, singt und freut sich.

Emotional stark
Neurologen haben nachgemessen, wie sich das Gehirn optimiert, wenn regelmäßig und mit Freude musiziert wird. Doch auch jenseits dieser Messergebnisse lässt sich nur Positives berichten. Prof. Dr. Hermann Wickel von der Universität Münster spricht von einer Steigerung der Lebensqualität in allen Bereichen. „Musizieren bedeutet immer, lernen, sich erinnern und Dinge zusammenfügen“, so der Wissenschaftler. Das wirkt sich auf die Gesundheit, auf die Profilaxe, die Motorik, die Geselligkeit aus und stabilisiert die soziale, die emotionale und die kognitive Kompetenz.
 
Verlangsamter Alterungsprozess
Dass aktives Musizieren die Wahrnehmung, das Denken und die motorischen Fähigkeiten trainiert und dabei positive Emotionen erzeugt, hat Prof. Eckard Altenmüller von der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover erforscht. Er bezeichnet dieses Phänomen als Vernetzungskunst, die auch im Alter stärksten Anreiz für die Anpassung des zentralen Nervensystems an komplexe Spezialanforderungen bietet, vorausgesetzt, das Musizieren ist positiv emotional besetzt. Praktische Musikausübung eignet sich somit dafür, den geistigen Alterungsprozess zu verlangsamen. Menschen mit Demenz ermöglicht das Musizieren positives emotionales Erleben. Typische Probleme des Alters wie Einsamkeit und Depression würden durch das Musizieren nicht nur aufgehoben, sondern wirksam entgegengewirkt, da das Musizieren eine besondere Form des Zusammenseins mit anderen ermögliche und damit angenehme Gefühle hervorrufe. Gleiches gelte für das Singen im Chor.
 
Selbstbewusste Alte
Aktiv musizierende Senioren sind zudem in ihrer Art besonders, schildert Prof. Dr. Daniel Eberhard von der Universität Eichstätt: „Sie reflektieren, sind in der Interpretation aufgrund ihrer Lebenserfahrung emotionaler, sie sind vielleicht auch kritischer, sie haken ein, sie lehnen manche Dinge ab, die sie nicht machen möchten und je nachdem, ob es jetzt um klinische Facetten geht wie beispielsweise gewisse Einschränkungen des Sehens, des Hörens oder auch psychischer Natur, oder um fitte Senioren, die sich zunächst einmal vom Erwachsenen im Berufsleben nicht unterscheiden, sind Lehrmethoden gefordert, die diese Voraussetzungen berücksichtigen. Am Ergebnis des Wohlbefindens und der Bereicherung ändert dies nichts.“
 
Geselligkeit entscheidet
Geeignete Lernmethoden sind dann gefunden, wenn sie auf die gesundheitlichen und mentalen Voraussetzungen abgestimmt sind. Das ist die eigentliche Herausforderung, sagt Eckart Altenmüller. Jede Person muss in ihrer Individualität erfasst werden, wie sie sich nach vielen Lebensjahrzehnten geprägt hat. Da spielen körperliche und psychische Beeinträchtigungen eine entscheidende Rolle. Hinzu kommen Rahmenbedingungen, die auf die Lese-, Lern- und Leistungsfähigkeit abgestimmt und generell zu beachten sind.
 
Monika Scherer beispielsweise singt seit Jahren begeistert im Seniorenchor. Die Noten, aus welchen sie singt, sind im Druck größer, die Stimmlage tiefer. Die Chorleiterin strukturiert die Chorprobe mit Atem- und Bewegungsübungen und wählt die Literatur sorgsam aus. Wichtig sind Volkslieder, die die Sängerinnen und Sänger aus ihrer Jugend kennen, oder einfach arrangierte Klassiker. Der Chor trifft sich unter der Woche am Vormittag. Anschließend geht man gemeinsam zum Essen.
Geselligkeit spielt auch beim Unterfränkischen Seniorenblasorchester eine entscheidende Rolle. Weil die Musiker für ihr Heimatorchester zu alt und nicht mehr leistungsfähig genug waren, gründeten sie ein eigenes Ensemble, das sich nun vierzehntägig trifft.
 
Konzert für Ältere
Von einer anderen Seite nähern sich Studierende an der Hochschule für Musik Würzburg den musikbegeisterten Senioren. Modellartig haben sie ein Konzertprogramm entwickelt, das gezielt auf ältere und an Demenz erkrankte Menschen zugeschnitten ist. Die Werke sind auf einzelne Sätze begrenzt, die Darbietung abwechslungsreich, die Gesamtlänge gekürzt. Ausgerichtet im Rahmen des Würzburger Mozartfestes ermöglicht diese neue Konzertform alten Menschen, an ihrer liebgewonnen Tradition des Konzertbesuches anzuknüpfen. „Menschen, die hierher kommen, gehen strahlend nach Hause“ beobachtet die Professorin Barbara Metzger, die das Projekt betreut, regelmäßig.
 
Diese und vergleichbare Modelle der Gründung von Seniorenensembles finden sich zwischenzeitlich in allen Musikbereichen und unterschiedlichsten Besetzungen, allerdings längst nicht in jedem Ort.
 
Handlungsbedarf
Nur langsam etablieren sich an den Hochschulen und Universitäten Studiengänge für den Fachbereich Musikgeragogik. Der Verband Bayerischer Sing- und Musikschulen bietet unter anderem Qualifizierungslehrgänge für den Beruf des Musikgeragogen und leitet in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik Würzburg Interessenten zum intergenerativen Musizieren an. Senioren und Kinder treffen sich zum gemeinsamen Singen, Tanzen und Musizieren. Die Musikverbände in Bayern versuchen auf kreative Weise, Abhilfe zu schaffen. Wo Eigeninitiativen der „jungen Alten“ ausreichen, steigt die Zahl der Seniorenensembles sowie der vergleichbaren Angebote sprunghaft an. Im Bereich der Altenpflege ist der Bedarf bislang aber kaum erfasst und auf lange Sicht hin nicht gedeckt. Was fehlt ist zunächst die Verbreitung des Bewusstseins über die Bedeutung des aktiven Musizierens für ältere Menschen in Seniorenheimen und Pflegeinrichtungen, schließlich die Schaffung von entsprechenden Rahmenbedingungen wie der Ausbau an Angeboten, Austauschplattformen und die Ausdehnung in die Breite.